Schubladendenken.

Zehn vor zehn, ein letzter Blick in den Spiegel. Die Haare leicht nach hinten gegelt und mit den Fingerspitzen kurz durchgewuschelt. Es soll natürlich und nicht zu gewollt aussehen. Meine Jeansjacke über dem Lacosteshirt, die Hose leger, weiße Sneaker, die Rolex am Arm, ein Lederkettchen um den Hals. Perfekt, es kann losgehen.

Auf dem Weg zur Bahn nicke ich meiner Nachbarin zu. Sie geht jeden Tag um diese Zeit spazieren. Rot gefärbte Haare, Kettenraucherin, Rollator, wohnt allein mit ihren zwei Katzen. Wahrscheinlich Hartz 4. Aus ihrer Wohnung riechts immer streng, aber sie wirkt nett.

An der Haltestelle angekommen, blinkt die Anzeige, dass meine Bahn in fünf Minuten kommt.  Eine Gruppe betrunkener Jugendlicher lenkt mich ab. Sie grölen und hören über eine absolut miese Box absolut miese Musik. Zwei der Typen sehen aus wie 17, die drei Mädels, die dabei sind, schätze ich höchstens auf 15. Wahrscheinlich versuchen sie ihnen zu imponieren mit billigem Weißwein und ihren schlecht sitzenden Caps, Hauptschüler eben. Ich hoffe für die Mädchen, dass sie auf ein Kondom bestehen.

 

Meine Bahn kommt, ich steige ein und suche mir einen Platz in einem Vierer am Fenster. Es sind nur drei Stationen, aber ich hoffe dennoch, dass sich niemand neben mich setzen wird. Um die Uhrzeit ist echt nur Gesocks mit den Öffentlichen unterwegs. Sieht aus, als hätte ich gute Chancen, die Bahn ist fast leer. Schräg gegenüber von mir, hockt so ein trauriger Fettsack in einem Metallica Shirt. Weiter hinten eine alte Schwarze, die in ihrer Muttersprache viel zu laut telefoniert. Und noch ein Typ mittleren Alters mit Glatze und Lederjacke, der Handyspiele spielt. Er sieht immer wieder genervt zu ihr rüber, fühlt sich scheinbar gestört bei seinem wichtigen Doodle Jump Scheiß. So wie der kleine Nazi aussieht, hat das auch was mit ihrer Hautfarbe zu tun. Gott, wie ich Rassisten hasse. Ich finds einfach krass, dass es Leute gibt, die andere nur auf ihr Aussehen und ihre Hautfarbe reduzieren. Mit bösen Blicken will ich ihm zeigen, dass mir sein Verhalten gewaltig gegen den Strich geht. Egal, genug der Zivilcourage. Zeit zum Aussteigen.

 

Vor dem Club hört man schon das laute Dröhnen der Bässe. Ich bin zum ersten Mal hier, aber wenn ich mir die Leute in der Schlange so ansehe, wird es wohl bei einer einmaligen Erfahrung bleiben. Auf meinem Handy immer noch keine Nachricht. Hoffentlich lässt er mich nicht zu lange warten. Wären wir in meinem Stammclub verabredet, wäre ich schon mal rein gegangen und hätte mir jemand nettes zum Unterhalten gesucht. Aber auf diese besoffenen Schickimicki-Blondinen mit ihren falschen Haaren, aufgeklebten Wimpern und künstlichen Nägeln hab ich echt keinen Bock. Hübsch sind sie, aber mit Intelligenz ist da in der Regel nicht viel. Eine von den Tussen sucht immer wieder Blickkontakt. Sie trägt ein schwarzes Minikleid und hohe Schuhe. Immerhin sieht sie nicht ganz so gemacht aus wie ihre Freundinnen. Ich überlege, ob es sich lohnt, sie anzusprechen. Vielleicht hat sie meine Uhr gesehen und hofft, dass ich ihre Drinks übernehme. Das würde ihr so passen. Mein Kumpel schreibt, dass er sich verspätet. Mist. Dann bleibt mir jetzt wohl nichts anderes übrig. 

 

Als ich zu ihr rübergehe, entfernen sich ihre Freundinnen direkt um ein paar Meter.

Wir führen wirklich netten Small Talk und stellen uns zusammen in der Warteschlange an. Ich erfahre, dass sie Nicole heißt, sie ist 25 Jahre alt und studiert Medizin. Scheinbar doch nicht so hohl, wie es ihr Ausschnitt vermuten lässt. Sie meint, sie stehe nicht auf Partys, aber ihre Cousine feiert ihren Geburtstag, da müsste sie mit. Meine einmalige Erfahrung wird wohl durch eine einmalige Erfahrung mit Nicole abgerundet. Ich bin froh sie angesprochen zu haben, glaube das könnte noch was werden heute Abend.

 

Nach 15 Minuten sind wir endlich am Türsteher angekommen. Ein Gorilla, der aussieht wie zehn Jahre Knast, lässt Nicole rein, aber baut sich vor mir auf. Er meint, ich soll nach Hause gehen und mich umziehen, er würde mich in der Hose und mit Sneakern nicht reinlassen. Ich frage ihn, ob er spinnt und sage, dass es nicht geht, mich wegen meines Outfits nicht reinzulassen. Das zugegebenermaßen auch noch teurer ist als alles, was er besitzt. Was maßt er sich überhaupt an, mich nach meinem Aussehen zu beurteilen. Er meint, die Party finde für mich heute nicht statt und ich soll mich verpissen. Krass, wie manche Leute drauf sind.