Selbstverletzung.

„Du bist so ein hübsches Mädchen und verschandelst mit diesem Scheiß deine schönen Beine!“

Oh okay, sorry. Hatte total vergessen, dass ich dich um deine Meinung zu meinen Narben gebeten habe.

 

„Du machst das sowieso nur um Aufmerksamkeit zu bekommen.“

 

- Klar, ich füge mir selbst Schmerzen zu, indem ich mir mit einem Teppichmesser Muster in die Beine schneide, damit ich endlich mal darüber sprechen kann, was für ein psychisches Wrack ich doch eigentlich bin. Danke, dass du es endlich erkannt hast.

 

 

 

Hi hier ist eine von denen,...die sich ritzen.

 

...die diese dummen Blicke und Kommentare nicht mehr ertragen.

 

…die euer Mitleid nicht brauchen.

 

...die anscheinend nach eurer Aufmerksamkeit lechzen.

 

...die angeblich auf Schmerzen stehen.

 

...die wissen, dass diese Narben für immer zu sehen sein werden.

 

...die es trotzdem machen.

 

…die ihre Narben nicht ständig verstecken wollen.

 

…die nicht damit provozieren wollen.

 

...die diese lieb gemeinten Ratschläge wie „Such dir Hilfe“ oder „Du kannst mich jederzeit anrufen“, nicht immer wahrnehmen können.

 

...die dir nicht versprechen können, dass sie es nie wieder tun werden.

 

Es gibt Tage, die sind gut. Es gibt Tage, die sind okay. Und es gibt Tage, da würde ich mir am liebsten den Kopf abschrauben und in die Ecke schmeißen. Wäre das eine reale Option, wäre das immernoch ein gesünderer Umgang mit meinen Problemen als der, den ich für mich gefunden habe.

 

Schon die ganze Woche fühle ich mich deprimiert und unwohl in meiner Haut. Es wird von Tag zu Tag schlimmer. Heute ist es, als hätte man alle meine Gefühle in einen billigen Schnellkochtopf gesteckt und ordentlich gewürzt. Heraus kommt eine seltsame gemischte Pampe aus unbenennbaren, hochexplosiven, negativen Emotionen. Sie köchelt und brodelt den ganzen Tag vor sich hin und abends brennt das Zeug dann an. Und dann steh ich da, in meiner Verzweiflung und dem Frust und versuche den Brand zu löschen.

 

Meine Gedanken kreisen nur noch um ein Thema: Ich. Eine ekelhafte Stimme in meinem Kopf schreit mich förmlich an: „Du bist kacke, kannst nichts, bist nichts. Wertlos, peinlich, abstoßend.“

Ich schäme mich. Mein Körper ist ekelhaft, meine Persönlichkeit noch schlimmer. Einen so ausgeprägten Selbsthass, kann man sich nicht ausmalen.

Auf einmal überkommt mich eine Wut, in einer solchen Intensität, dass ich völlig überfordert bin. Es ist keine Wut, in der man schreit und Dinge kaputtschlägt. Es ist viel schlimmer. Eine Wut, die jede Zelle deines Nervensystems übernimmt, deine Gedanken komplett lahmlegt und sich nur in deinem Inneren abspielt, weil sie es nicht schafft auszubrechen.

 

Wieso kann ich nicht anders sein? Mein Gott! Egal was ich sage, tue, oder was ich nicht sage oder tue, kommt mir falsch vor. Ich bin falsch. Keine Roast Show dieser Welt könnte mich so in Einzelteile zerlegen und schlecht reden, wie ich mich selbst.

Ich zünde mir eine Zigarette nach der anderen an und versuche meine Finger zu beherrschen. Die Anspannung überwältigt alle meine Glieder. Meine Hände zittern, die Beine wackeln, ich beiße mir die Lippe blutig. Ich halte meine Hand waagerecht vor meinen Körper, um zu prüfen, wie stark ich zittere. Als Test nehme ich die Zigarette und drücke sie auf meinem Handrücken aus. Die Glut brennt sich in meine Haut und es zieht noch ein wenig, bevor der Schmerz dann langsam vergeht. Für einen kurzen Moment hört das Zittern auf.
Die angebrannte Gefühlspampe in mir brodelt und entwickelt in kürzester Zeit einen unglaublichen Druck. Nach außen hin bleibe ich gefasst, doch der Deckel droht zu explodieren. Die berühmtberüchtigte Ruhe vor dem Sturm.
Wie ferngesteuert laufe ich durch die Wohnung, auf der Suche nach etwas, das mir Abhilfe verschaffen könnte. Ohne groß nachzudenken, schnappe ich mir ein Cuttermesser aus der Werkzeugkiste und setze mich damit aufs Bett.

 

Der Druck breitet sich aus und legt sich tonnenschwer auf meinen Magen, Hals, Kopf,…jedes verdammte Glied meines Körpers. Ich habe das Gefühl, es zerreißt mich jeden Moment, wenn ich nicht etwas finde, das mir sofort diese Last abnimmt. Diesen Druck, diesen Stress, diese Wut, diesen abgrundtiefen Hass abnimmt. Mit zittrigen Fingern setze ich das Messer an und ziehe es einmal schräg durch meine Haut.

Mit dem ersten Bluttropfen, der über meine Wade läuft, fließen auch endlich die ersten Tränen. Der Schnitt fühlt sich warm an, dann heiß, er pulsiert. Gott, genau das habe ich gebraucht.

Verschwommen durch die Tränen, sehe ich meinen Körper wie durch einen Schleier. Immer wieder setze ich das Messer an, schreiend, weinend. Ansetzen, durchziehen! Ansetzen, durchziehen!

In meinem Kopf höre ich tosenden Beifall, Applaus, Jubel und Pfiffe. 

Es ist eben das was ich verdiene. Mit jedem Schnitt baut sich meine Anspannung ein wenig mehr ab. Ich verliere die Kontrolle über die Intensität der Schnitte und ziehe das Messer immer tiefer durch meine Haut.

 

Ich halte kurz inne, sehe das ganze Blut um mich herum und breche weinend zusammen. Das Einzige worauf ich mich gerade konzentrieren kann, sind die stechenden Schmerzen meiner Wunden. Das Brennen löscht alle negativen Gedanken aus, lässt mich die Wut vergessen. Meine Gefühle entladen sich bis aufs Letzte und es fühlt sich an, als hätte es nach einer dürre Periode endlich wieder geregnet.  
Mit einem nassen Handtuch wische ich mir das Blut von den Beinen und die verschmierte Mascara aus dem Gesicht. Bevor ich die Wunden verbinde, betrachte ich sie noch einmal etwas genauer.

Mit einer seltsamen, kaum erklärbaren Hassliebe betrachte ich das Ergebnis. Irgendwie sieht das echt übel aus, dennoch schwingt auch ein Gefühl von Stolz mit rein.

 

Ich habe es geschafft mich für einen kurzen Moment zu befriedigen. Endlich habe ich das bekommen, was ich verdient habe – das was ich brauche, um mich lebendig zu fühlen.