Trip in die Berge.

Art by: Lorenzo Minutella
Art by: Lorenzo Minutella

Der Regen ist faszinierend. Es ist wirklich beeindruckend, wie die einzelnen Tropfen mit einer Wucht gegen die Fensterscheibe des rasenden Zuges klatschen und sich dann miteinander verbinden. Eins werden und in Form eines zierlichen Wasserstroms die Scheibe hinunterfließen. Es ist so wunderschön, so gewaltig und doch harmonisch. Der wütende Sturm ist nicht spürbar im warmen Zugabteil.

 

Über Kopfhörer, erscheint das Pink Floyd Konzert in meinem Kopf stattzufinden. Zum Takt der rhythmischen Klänge, vereinigen sich die Tropfen an der Scheibe, zu einem wirren Mosaik. Ich spüre wie meine Kleidung mich wärmt, der weiche Stoff mich locker umarmt. Ich kann den Unterschied zwischen roter und grüner Wolle auf meiner Haut fühlen. In meinem Mund, ein süßlich bitterer Nachgeschmack der Pappe, die ich vor der Fahrt auf meiner Zunge hab zergehen lassen. Ein kleines buntes Bildchen, mit einer so großen Wirkung. Die sollte mich die nächsten 6 Stunden beschäftigt halten. Es war die Letzte, vor dieser Urlaubswoche. Das letzte High, vor der erzwungenen Familienidylle. Der letzte Knall, vor der gefühlt endlosen, abstinenten Hölle in den Südtiroler Alpen. Der Countdown läuft zu meinem Trip in die Berge.

 

Stur gucke ich aus dem Fenster und betrachte die Welt, durch die ich mit Lichtgeschwindigkeit durchzuschießen scheine. Das flaue Gefühl in meinem Magen, lässt sich fast nicht mehr ertragen. Es lässt Farben tanzen, Höhen tiefer und Tiefen höher werden. Macht das Sinn? Keinen. Wobei, kommt darauf an von welcher Realität wir ausgehen. Wohlige Wärme verläuft durch meinen ganzen Körper. Sie zieht sich durch alle Glieder bis sie als pochende Hitze in meinem Hinterkopf ankommt. Die Zirkulation meines Blutkreislaufs, löst Halluzinationen aus.

Ich bin raus. In einer anderen Welt, in der ich mit meinen Fingern alles so male wie es mir gefällt. Doch die Welt auf der anderen Seite der Scheibe, dreht sich immer schneller. Ich versuche mein Gewicht auf dem Sitz so zu verlagern, dass ich nicht umgeworfen werde von der gewaltigen Kraft des Zuges. Mit beiden Händen greife ich nach dem kleinen Klapptisch vor mir, um mich festzuhalten. Doch er spielt mit mir und weicht immer weiter von mir ab.

Dieser verfluchte Klapptisch, ein Rechteck, ein Parallelogramm, dann ein Quadrat und es wird zum Teller. Von Minute, zu Minute wird der Kick schlimmer. Die Musik wird schneller, blasse Farben werden greller, das Licht immer heller, es blendet mich. Hilfe! Ich will raus, aussteigen, es wird zu viel, zu laut, zu intensiv. Jetzt kapiere ich erst, dass ich dieser Zugfahrt, diesem Zustand ausgeliefert bin. Langsam öffne ich wieder die Augen, schaue was so abgeht. Ich bin voll drauf und spüre wie die Kleidung an meiner Haut klebt. Der Tunnelblick verschafft mir ein wenig Klarheit. Ich fühle mich machtlos in diesem Zustand gefangen. Mit einer ekelhaft intesiven Wahrnehmung, höre ich jedes Geräusch, rieche jeden Duft und Gestank, den dieser ICE Abteil zu bieten hat. Gezwungen, in eine ewige Abwärtsspirale meiner Gedanken. Unnötig tiefgründige Philosophien über mein derzeitiges Leben quälen mein Gehirn. Mein Kopf pocht und pulsiert. Und er explodiert.

Wie in einem Film, rauschen unheilvolle Bilder an mir vorbei. Ich sehe wie ein leichenblasses Mädchen mit hoffnungslosem Blick, den Körper einer erwachsenen Frau verlässt. Wie aus einem Ei, schlüpft es aus der noch lebenden Hülle. Die Frau sackt in sich zusammen und stirbt mit einem schmerzdurchzogenen Gesichtsausdruck. Sie schrumpft immer weiter, bis sie nur noch ein kleines Häufchen Asche darstellt. Das Mädchen mit den toten Augen hebt seine kleine Hand, um zum Abschied zu winken.

Sie lässt den Blick nicht von mir, während sie in den Boden gesogen wird. Immer tiefer nach unten, in einen wütenden Wirbelsturm aus dunklen Rauchwolken. Der Hurricane reißt Stück für Stück, Teile ihres schmächtigen Körpers aus und verschluckt sie, bis nur noch der Kopf herausragt. Mit stummen letzten Schreien schnappt die Kleine panisch nach Luft, bis sie langsam zwischen den mächtigen Luftströmen erstickt. Der Sturm hat ihre leblose Gestalt gänzlich verschlungen, daraufhin zieht er weiter, als wäre nie etwas gewesen. Das Bild klart wieder auf, alle Rauchwolken verblassen, Ruhe kehrt zurück. Es ist nichts mehr zu sehen von dieser eben noch dagewesenen transzendentalen Katastrophe.

 

Ich spüre einen stechenden Schmerz in meinem Rücken, weil ich mich zu fest gegen die Sitzlehne gepresst habe. Langsam atme ich tief durch und versuche in der Realität anzukommen. Scheiße, was war das denn?! Mein T-Shirt ist komplett durchgeschwitzt. Einzelne Schweißperlen, gemischt mit Tränen laufen mir die Wangen herunter. Andere Zugpassagiere drehen sich nach mir um, mustern mich besorgt. Eine ältere Frau, die zwei Reihen weiter vorne sitzt, fragt mich mit einem Lächeln ob alles in Ordnung sei. Meine Antwort belasse ich bei einem stummen Nicken. Mein Hals ist zu trocken, als dass ich etwas sagen könnte. Mit einem Blick auf die Uhr bemerke ich, dass ich vor circa einer halben Stunde hätte umsteigen sollen. Fuck.