Mein verfluchtes erstes Mal.

 

Liebes Tagebuch,

 

Ich weiß, dass ich schon länger nicht mehr geschrieben habe. Weiß jetzt nicht so richtig wie oder was ich schreiben soll. Keine Ahnung, ich fang einfach mal an zu erzählen... Ich war duschen und hab dabei voll laut Musik gehört. Auf einmal kam Steffen ins Badezimmer (Mamas Arschloch Freund). Ich hab mich voll erschrocken und er stand einfach nur da und hat mich angestarrt. Glaube der war besoffen (so wie eigentlich immer?!?!). Mama ist ja Dienstags immer nicht zu Hause, weil sie da ins Fitnessstudio zu ihrem komischen Kurs geht. Naja, jedenfalls meinte er, ich soll mich nicht schämen, wir sind ja ne Familie und da ist es okay, sich nackt zu sehen. Man soll keine Geheimnisse haben.

Er hat sich ausgezogen und die Musik noch lauter gedreht. Ich hab das erste Mal nen Pimmel gesehen! Also, so in echt und nicht nur irgendwie auf Bildern. Der war total groß und komisch. Irgendwie hab ich mir nackte Männer anders vorgestellt. Egal. Er kam zu mir unter die Dusche und zuerst war er einfach nur neben mir gestanden. Dann meinte er, ich soll mich richtig waschen und meine Finger immerzu bei mir unten reinstecken. Sein Ding ist noch größer geworden und dann sollte ich ihn anfassen. Der war hart und da war voll viel Haut.

Irgendwann hat er gesagt, ich soll auf die Knie gehen und ihn küssen. Ich fand das echt eklig und wollte das nicht. Er wurde richtig sauer und hat mich runter gedrückt, also hab ichs gemacht. Als ich ihn geküsst habe, ist mir die ganze Zeit Wasser ins Gesicht gelaufen und er hat meinen Kopf gestreichelt und meinte, ich kann doch mit ihm üben, damit ich das besser kann, wenn ich mal in nen Jungen verknallt bin. 

Er hat voll laut geatmet und mich an den Haaren gezogen, so dass es weh getan hat! Ich sollte meinen Mund aufmachen und er hat ihn bis zu meinem Hals  rein gehämmert, dann musste ich fast kotzen. 

Naja und dann...keine Ahnung, wie ich das sagen soll. Er hat geschrien, dass ich aufstehen soll und ich musste mich nach vorne beugen und er hat mir sein Ding reingesteckt. Das waren echt Schmerzen, ich hab auch ein bisschen geweint und in die Dusche geblutet. Mein Kopf ist ständig gegen die Duschwand geschlagen, weil er mich so fest an den Haaren gepackt hat. 

Steffen meinte, das ist normal und ich soll mir wegen dem Blut keine Sorgen machen. Eigentlich wollte ich schreien, weil er mir ne scheiß Angst gemacht hat, aber ich konnte gar nix sagen. Ich war echt wie gelähmt, hab die ganze Zeit nur gezittert.

Er wurde mega komisch, hat sich die ganze Zeit an mir gerieben und meine Haare festgehalten. Sogar wenn ichs versucht hätte, wäre ich da nicht raus gekommen. Es war echt ein scheiß Gefühl!

Irgendwann ist er aus der Dusche raus und meinte zu mir, ich soll mich sauber machen und ins Bett gehen. Er hat einfach nichts weiter dazu gesagt und ist gegangen. Jetzt lieg ich grad im Bett. Mama ist mittlerweile heimgekommen, sie liegt mit Steffen auf der Couch und trinkt Wein und gucken nen Film. Es ist alles so wie immer. Keine Ahnung was ich jetzt machen soll, deswegen lieg ich hier und schreibe das alles auf. Ich kann ja nicht rüber gehen und ihr das einfach erzählen, der lacht mich am Ende noch aus und ich krieg Ärger, weil ich irgendwelche Sachen erfinde.  

Das war also mein erstes Mal. Sex ist echt ekliger als ich dachte.


Umgang mit dem Trauma

Es mussten sieben Jahre vergehen, bis ich mich in einer Therapie endlich getraut habe, auszusprechen, dass etwas passiert ist. Über konkrete Details spreche ich immer noch nicht. Daher seht die Geschichte als Konfrontation, aber ich distanziere mich vom Inhalt. Diese Geschichte ist erfunden, es geht weder um mich noch um meine Erlebnisse.

Selbst in meinem Tagebuch hatten diese Erinnerungen keinen Platz. Sie wurden nie erwähnt oder aufgeschrieben. Hätte ich sie verschriftlicht, wären sie real geworden. Ich wollte aber keine Realität und erst recht keine Erinnerung. 

 

 

Warum erzähle ich das so öffentlich?

 

Im Laufe der Jahre habe ich einige Menschen kennengelernt, die sagten, sie hätten ein Trauma. Erst als ich den Schritt gewagt habe und den Missbrauch an mir angesprochen habe, bemerkte ich bei ihnen eine Art Erleichterung und sie haben sich mir gegenüber geöffnet. Oft wirkte es auf mich, als wollten sie mehr davon erzählen, als wollte ein Teil in ihnen die Wahrheit herausschreien. Aber eine Blockade, Hemmung, vielleicht auch Angst stand ihnen im Weg, genauso wie ich sie in mir habe.

 

Es ist ein Leben mit einem in dir schlummernden, schwarzen Loch. Ein feuerspeiendes Monster, das du nicht wecken darfst.

 

Wieso hat das niemand mitbekommen? Im Teenager Alter entwickelt man seine Persönlichkeit, Sexualität und sein Selbstgefühl. Mein Start in diese Entwicklungsphase begann nicht bei null, sondern im fetten Minusbereich. Meine persönliche Gehirnwäsche: ich kann nichts, ich bin nichts, aus mir wird nichts.

Mir wurde eingeredet, dass mir sowieso niemand glauben würde und dass ich dadurch die Familie kaputt machen würde. Ich habe es geglaubt. Nicht etwa, weil ich alles, was er gesagt hat, sinnvoll fand. Sondern weil meine größte Angst darin lag, dass ich es jemandem erzähle und keine Reaktion folgen würde. Es schlichtweg niemanden interessieren würde.

Mittlerweile habe ich es in meiner Familie zum Thema gemacht. Ich habe es ausgesprochen und es war unglaublich hilfreich für meine eigene Entwicklung.

Darüber zu sprechen, hat mir geholfen, alten Groll zu verarbeiten und Ängste zu überwinden. Natürlich ist es immer noch da. Es wird nie weggehen und die Probleme, die daraus entstanden sind, werden mich ein Leben lang begleiten. Aber es ist okay, weil ich einige wichtige Dinge dazugelernt und den Schrecken davor verloren habe.

 

Denn nicht ich, sondern der Täter sollte sich dafür schämen. Nicht ich, sondern er ist schuld. Nicht ich, sondern er sollte an der Erinnerung ersticken. Nicht ich, sondern er sollte für den Rest seines Lebens darunter leiden.

 

Ich bin bereit mich als Betroffene mit dem Thema Kindesmissbrauch in die Öffentlichkeit zu stellen, denn es ist kein Tabu-Thema. Nur wenn es Tabu ist, bleiben ungerechtfertigte Schuld- und Schamgefühle bestehen und die Schreie verstummen.