540 Tage.

Art by: Didi Painterman
Art by: Didi Painterman

Tag 3 von 540

Ich sitze auf der Bettkante und starre auf den Boden. Die Beine wackeln vor Anspannung oder Unruhe, keine Ahnung. Jedenfalls habe ich das Bedürfnis mich zu bewegen oder irgendwie diese überschüssige Energie rauszulassen. Im Zimmer stehen: ein Tisch, ein Stuhl, ein Schrank und ein Regal, ein Waschbecken, darüber eine aufgeklebte Folie, die als Spiegel dienen soll und eine Toilette. Im Grunde nichts womit man sich beschäftigen könnte. Die anderen beiden liegen in ihren Betten. Einer stöhnt so halb vor sich hin und fuchtelt mit der Bodylotion rum. Der andere guckt apathisch an die Decke. Mit denen kann ich also auch nix anfangen. Verzweifelt warte ich bis es endlich diese eine Stunde schlägt. Es ist diese eine Stunde am Tag, die es mir nach 23 Stunden Isolation erlaubt im Hof mit den anderen im Kreis zu laufen. Bis dann wieder die Tür zufällt. Den Kopf voll mit tausend Gedanken, wie alles so in Arsch gehen konnte. Die letzten Jahre vergehen immer wieder vor meinem inneren Auge, wie ein Kurzfilm mit mir in der Hauptrolle. Ich habe diese durchgehende Anspannung in mir und doch nichts, das irgendwie etwas daran ändern könnte. Ich glaube wirklich, das Schlimmste ist dieses elendige Nichts.

 

Tag 30 von 540

Im Duschraum ist es heiß und schwül, es riecht nach Shampoo und Duschgel. Ungefähr 15 Mann duschen sich hier gleichzeitig. Einige unterhalten sich, schäkern rum, machen Späße oder ziehen sich gegenseitig auf. Andere stehen mit dem Gesicht Richtung Wand und vermeiden Blickkontakt. Man merkt ihnen die Scham an, sich nackt zu zeigen. Man hat hier einfach keine Privatsphäre. Wer nicht das Glück hat eine Einzelzelle zu bekommen, ist gezwungen 24/7 mit den Anderen zusammen zu sein und wirklich alles in ihrem Beisein zu tun. Das Duschen ist halb so wild, aufs Klo gehen ist da schlimmer. Bisher lassen mich alle in Ruhe. Es gibt zwar hier und da Einen der dumme Sprüche bringt, aber nichts Gravierendes. Man darf sich einfach nicht blöd anmachen lassen.

Einer von meinem Flur, er wird Bambi genannt, ist auch da. Ein dünner, langer Typ mit längeren blonden Haaren. Er duscht wie immer in Unterhose, trotzdem dreht er sich ständig nervös um. Auf dem Flur sieht man ihn so gut wie gar nicht. Mir wurde mal gesagt, er sei ein Opfer und darf seine Zelle nur mit Erlaubnis verlassen. Flurverbot für Opfer, sagen sie.

Ich habe das nie hinterfragt. Um ehrlich zu sein, interessiert es mich wenig was mit dem ist. Sunny, ein Kerl mittleren Alters, zwar etwas klein aber dafür umso breiter, stellt sich jetzt provokativ hinter den verängstigten Bambi. Sunny fragt ihn wo er denn Tabak herhat, er hätte ihn vorhin rauchen sehen. Als er keine Antwort bekommt, greift er ihm mit einer Hand von hinten in den Nacken und zieht ihn nach hinten. Bambis Körper versteift vollkommen. Er muss zwei Mal schlucken bevor er antworten kann, dass er von draußen zwei Päckchen zugeschickt bekommen hat. Sunnys Gesicht verzieht sich richtig. Man sieht die Halsschlagader pulsieren und er fordert Bambi auf, vor ihm auf die Knie zu gehen. Er meint es sei respektlos gewesen ihm nichts vom Tabak abzugeben. Die traurigen Versuche sich körperlich zu wehren, grenzen an Fremdscham. Das hätte er lieber sein lassen sollen.

Sunny fackelt nicht lang rum, holt einen Abzieher aus der Ecke und baut sich wieder vor dem verängstigten, verzweifelten Mann auf. „Wenn du dich nicht freiwillig zur Schwuchtel machst, mach ich dich eben zu einer."- Das waren die letzten Worte die Bambi gehört hat, bevor ihm der Stab so tief in den Arsch geschoben wurde, dass er vor Schmerz einfach umgefallen ist. Da liegt er nun jammernd und blutend auf dem Boden. Diejenigen die fertig sind mit Duschen, verlassen so langsam den Raum. Unter ihnen ist auch Sunny. Ich lasse mir nichts anmerken, verlasse das Bad und drehe mich nicht einmal nach dem armen Kerl um. Zurück auf Zelle liege ich im Bett und bekomme diese Szene einfach nicht aus meinem Kopf. Immer wieder spielt sich das Geschehene vor meinem inneren Auge ab und ich sehe die Angst und den Schmerz in seinem Blick. In Gedanken sage ich mir, dass es mich nicht zu interessieren hat. Das tut es ja sonst auch niemanden.

 

Tag 93 von 540

Gerade kam ein Wärter zu mir und hat mir einen Brief in die Hand gedrückt. Es ist ein kleiner blauer Umschlag, der auf einer Seite geöffnet wurde. An der Adresse erkenne ich die Handschrift meiner Freundin. Mein Herz schlägt direkt dreimal höher. Vorfreudig setze ich mich an den winzigen runden Tisch in meiner Zelle. In den letzten Wochen habe ich viel an sie gedacht, vor allem weil ich schon länger nichts mehr von ihr gehört habe. Mit zittrigen Fingern hole ich den Brief raus und überfliege die ersten Zeilen, um endlich zu erfahren, wie es ihr geht und ob sie noch an mich denkt. Die vergangenen Monate habe ich mich das sehr oft gefragt. Auch ob sie mich noch liebt, mir treu geblieben ist. Ob wir die Zeit zusammen durchstehen werden, so wie sie es mir versprochen hat.

Der Brief besteht aus zwei vollgeschriebenen A4 Seiten. Im ersten Teil geht es viel um ihre Wohnsituation und ihren Sohn, der jetzt bald eingeschult wird. Den beiden und meiner Hündin geht es gut. Das freut mich und zaubert mir zum ersten Mal seit langem wieder ein Lächeln auf die Lippen. Auf der Rückseite beginnt sie von einem Stefan zu erzählen. Ein Arbeitskollege, mit dem sie schon vorher oft in der Pause Kaffee trinken war. Sie schreibt, dass sie sich seit meiner Haft oft verzweifelt und unsicher gefühlt hat. Mit Stefan kann sie über alles reden, er hört ihr zu. Er holt den Kleinen sogar von der KiTa ab, wenn sie zu viel Stress hat. Er ist ein vernünftiger Mann. Einer mit dem sie sich eine stabile und sichere Zukunft aufbauen kann. Stefan wird noch in diesem Jahr in unsere gemeinsame Wohnung einziehen. Sie braucht Abstand und möchte keinen Kontakt zu mir, weil das alles sie zu sehr belastet. Im letzten Satz schreibt sie, dass ich mir keine Sorgen um den Hund machen soll, sie wird sie behalten und sich um sie kümmern. Liebe Grüße, und tschüss.

Mit starrem Blick lese ich den Brief immer wieder von vorne. In der Hoffnung, dass sich die Worte darin verändern, die Sätze drehen, ich mich getäuscht habe. Drei Stunden lang lese ich ihn immer wieder, lege ihn weg, rauche eine Zigarette nach der anderen und lese ihn nochmal. Als ich den Inhalt endlich verstanden und verinnerlicht habe, kippt ein Schalter in mir. Dieses tiefe Gefühl von Eifersucht und Wut gegen dieses miese Stück Stefan ergreift die Kontrolle über jeden meiner Gedanken und verkrampft meinen ganzen Körper. Ekelhafter, bösartiger Hass droht mich in die Luft zu jagen. 

Sobald es Zeit für den Flur wird, gehe ich raus und laufe mit hochrotem Kopf in die erste Gruppe, die mir im Weg steht. Ich packe einen von ihnen am Hals und schlage mit aller Kraft auf sein Gesicht ein. Das Blut aus seiner Nase spritzt mir aufs T-Shirt, aber ich kann nicht aufhören. Ich will diesen Bastard sterben sehen. Zwei aus der Gruppe reißen an meinem Arm und ziehen mich zurück, aber ich kann nicht von ihm ablassen und trete immer wieder auf seinen Rücken und dann den Kopf ein. Der Typ liegt in seiner Blutlache und nicht ein einziger Muskel in ihm zuckt mehr. Wieder zu mir gekommen stehe ich vor diesem Menschen und erkenne erst jetzt was gerade passiert ist. Die Leute neben mir schubsen mich Richtung Zelle. Ich biege ab und laufe direkt auf Sunny zu. „Hast du Stoff?“ Er sieht mich skeptisch an und fragt was ich brauche. „Meine Freundin hat sich nach 5 Jahren Beziehung mit dem erst besten Spassten verpisst!“, schreie ich ihm ins Gesicht. Sunny nickt nur und sagt: „Scheiße". Dann holt er ein Tütchen raus und drückt es mir in die Hand. Er meint ich könne es haben, aber solle es abarbeiten. Er brauche sowieso noch jemanden, der für ihn Schulden eintreibt. Mir solls recht sein, denke ich mir und gehe mit dem Tütchen auf Zelle. Ich schütte den kompletten Inhalt auf dem kleinen Tisch aus und hacke die Steine auf. In langen, dicken Bahnen, ziehe ich den Shit durch die Nase. Meine Nasenscheidewand brennt wie verrückt, ich schmecke wie mir die bittere Chemie den Rachen runterläuft. 

Scheiß auf die Schlampe, die sich nach nur drei verfickten Monaten verpisst und mir meine Zukunft, meine Wohnung, sogar meinen scheiß Hund nimmt. Scheiß auf diesen Motherfucker. Er wird noch zu spüren bekommen, was es heißt mir ans Bein zu pissen.

 

 

Tag 300 von 540

Heute ist ein kalter Tag, sehr windig und es wirkt, als würde es jeden Moment anfangen zu regnen. Ich stehe mit zwei Kollegen in einer Ecke des Hofs und beobachte eine Schlägerei. Scheinbar hat einer gegen jemand anderen ausgesagt. Jetzt wird der Typ von allen Seiten bespuckt und verprügelt, einfach nach Strich und Faden gefickt. Die Jungs die auf ihn einschlagen, machen wirklich nicht halblang. Seitdem ein paar Informationen unter den Häftlingen ans Licht gekommen sind, ist gefühlt Krieg ausgebrochen. Es fasziniert mich, wie wenig mich noch schockt. Im Grunde passiert hier nichts mehr, das mich groß überrascht oder auch nur sonderlich interessiert. Ich frage mich ob ich noch vor meinem Geburtstag das Päckchen von meiner Mutter erhalte. Außer der Care Pakete höre ich nichts von ihr, sie ist momentan nicht gut auf mich zu sprechen.

Ach genau Päckchen. Da fällt mir ein, dass ich noch eine Sache mit jemandem regeln muss. Ein kleiner, schlanker Typ, der auch bei dem Wetter im Tanktop rumrennt, schuldet noch Kaffee und Zigaretten. Ich pfeife nach ihm und schenke ihm dabei diesen besonderen Blick, der eigentlich alles sagt. Niemand soll den Eindruck bekommen, dass er uns auf der Nase rumtanzen kann. Ich kläre das später alleine mit ihm. Die Anderen werden es früher oder später schon mitbekommen, wie mit jemandem umgegangen wird, der nicht bereit ist Schulden zu tilgen. 

So wie ich hier bin, kenne ich mich sonst nicht. Meine Gedanken richten sich jetzt nach anderen Regeln. Zwar habe ich mich auch früher geschlägert und hatte eine relativ kurze Zündschnur, aber hier ist mein Verhalten aggressiv, skrupellos, teilweise tödlich. Ich rechtfertige es vor mir selbst, dass es wichtig ist, um gut zurecht zu kommen. Man muss bereit sein aufs Ganze zu gehen. Keine sentimentalen Gefühle aufkommen lassen. Manchmal habe ich das Gefühl innerlich kalt geworden zu sein, ich empfinde einfach nichts mehr. Gerade frage ich mich, ob ich meine Emotionen selbst abgetötet habe, oder die Langeweile? Oder vielleicht das Umfeld? Keine Ahnung. So gesehen ist es auch egal, mir geht es gut damit, es passt schon so.

 

 

Tag 402 von 540

Jeder geht seinem Weg nach, dennoch gibt es Einige, mit denen ich mich gut unterhalten kann. Wir reden oft über Belangloses. Manchmal über unsere Vergangenheit, Drogen und Geschäfte, die abgelaufen sind. Wenn wir uns über Privates unterhalten, reden viele immer wieder von Zukunftsplänen. Sie sagen, sie hätten keinen Bock mehr auf Szene und Kriminalität. Wollen jetzt ein geregeltes Leben führen, für ihre Kinder da sein und so weiter. Ein etwas älterer Häftling, der schon sein halbes Leben im Knast verbracht hat, winkt solche Gespräche immer wieder ab. Er sagt trocken dazu sie sollen machen und nicht drüber reden. Zwar bin ich seiner Meinung, aber dennoch interessiert es mich warum er in seiner Einstellung so abgedroschen ist. Er meint zu mir, dass er schon so viele, auch konkrete Pläne gehört hat, von allen möglichen Männern, die hier gesessen haben und dennoch hat er sie immer wieder gesehen. „Manche Menschen kommen irgendwann einfach nicht mehr zurecht, können kein normales Leben führen. Sie kommen mit der Gesellschaft nicht klar und leben lieber in dieser Realität als in der draußen. Haben halt nen Haftschaden“, sagt er.

Seine Worte lassen mich auch auf Zelle nicht mehr richtig los. Es stimmt schon, dass das hier eine eigene, in sich geschlossene Welt mit eigenen Regeln ist, aber das ist doch das Abschreckende, oder? Man will doch nicht wieder hier landen? Das Gespräch regt mich dazu an mir selbst Gedanken über meine Zukunft zu machen. Sehen wir es realistisch: Frau ist weg, Wohnung weg, sogar mein Hund ist weg. Ich habe keinen Abschluss und werde sicherlich nicht für kleines Geld für einen großen Betrieb schuften gehen, wenn ich vom Drogenhandel gut leben kann. Insbesondere weil ich hier eine vielversprechende Connection aufgetrieben habe. Wir wollen uns nach der Haft zusammentun. Okay, immerhin steht das Geld, den Rest bekomme ich dann schon hin.

 

Tag 539 von 540

Kaum zu fassen, dass der Tag endlich gekommen ist. Die letzte Nacht in diesem Loch und ich kann wieder in die Normalität zurück. Ich habe für mich beschlossen, einen Cut zu machen und die Scheiße hinter mir zu lassen. Da ich dann sowieso noch auf Bewährung bin, höre ich draußen wieder mit den Drogen auf. Das habe ich schon mal geschafft, für meine Exfreundin damals, also wird es diesmal auch funktionieren. Außerdem werde ich in eine neue Stadt ziehen, weit weg von meinem alten Umfeld. Neue Freunde finden, eine Arbeit suchen, mit der ich halbwegs zufrieden bin. Ansonsten fange ich auch wieder an Fußball zu spielen und natürlich Krafttraining. Ich will unbedingt wieder eine Beziehung zu meiner Familie aufbauen, sie hat wegen mir schon genug Enttäuschung einstecken müssen. Aber wenn alles nach Plan läuft, wird mit der Zeit auch das Vertrauen zurückkommen. Vielleicht finde ich sogar eine Frau, die mein Glück perfekt macht, für die es sich lohnt das geregelte Leben aufrechtzuhalten.

Mit dieser Vorstellung geht es mir gut und sie motiviert mich. Ich will nicht wie andere immer wieder hier landen und denselben Trott von vorne erleben. Klar wird es schwer hier und da, aber ich bin einer der Wenigen, die es schaffen. Ich fühle mich bereit und werde meine Pläne ernsthaft in Angriff nehmen, um aus dem Sumpf rauszukommen und ein einigermaßen zufriedenes Leben zu führen. Wird schon schief gehen, ein bisschen Optimismus gehört dazu.

 

Tag 556 

Ach vergiss es,…